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Artikel im Darmstädter Echo vom 26. Juli 2002 von Sabine Eisenmann
Kunst statt Fahrkarten
in der Station

Bahnhöfe
Das Künstlerehepaar Meta und Károly Bacsák lebt und arbeitet im denkmalgeschützten Messeler Gebäude


Einst waren die Bahnhöfe im Landkreis mit ihren Empfangsgebäuden Anlaufstelle für Reisende und Pendler, die Wartehallen boten den Fahrgästen Schutz vor Kälte und Regen. Mittlerweile haben fast überall Fahrkartenautometan das Schalterpersonal abgelöst, die Bahn AG hat in den vergangenen Jahren viele ihrer Bahnhofsgebäude verkauf oder vermietet. Wie die Bauten im Kreis heute genutzt werden, soll in lockerer Folge an Beispielen gezeigt werden.

Messel. "Hier ist ein Ort des Lebens und der Begegnung", sagt die Bildhauerin Meta Bacsák (53) aus Messel und blickt aus dem Fenster. Darunter läuft eine Gruppe Reisender vorbei, die gerade aus dem Zug ausgestiegen ist. Die Station ist zugleich die Adresse von Meta und Károly Bacsák: Bahnhof Messel.

Seit 1986 lebt und arbeitet das Künstlerehepaar im mehr als 100 Jahre alten dreistöckigen Bahnhofsgebäude, dem "Künstlerbahnhof", wie das Ehepaar ihr Wohn-Atelier im Messeler Ortsteil Grube Messel nennt. Darin haben sie in den vergangenen Jahren Ausstellungen und Konzerte mit befreundeten Malern, Bildhauern und Musikern veranstaltet. Bevor das Paar die ehemalige Unterkunft für Bahnangestellte in eine Begegnungsstätte für Kunst und Kunstinteressierte verwandelte, hatte das rund 300 quadratmeter große Gebäude sieben Jahre lang leer gestanden. "Für einen Schalterbetrieb bestand kein Bedarf mehr", sagte dazu Herrmann Schöffel, Bahnhofsmanager der Bahn AG.

"Der Vorteil unserer Wahnlage ist, dass wir auch selbst Krach machen können, wann wir sollen", ruft Maler Károly Bacsák (48) und versucht, das Dröhnen eines vorbeidonnernden Zuges zu übertönen. "Durch die ständige Geräuschkulisse lebt das Haus Tag und Nacht. Das passt zu unserer Arbeit und zu uns", sagt der gebürtige Ungar.


Wohnbereiche und Ateliers vermischen sich im Gebäude
Auf dem Weg in den ersten Stock schlüpft Haushund "Pötyi" vorsichtig an den bunten Plastiken und Skulptuten auf der Treppe vorbei. "Das Reizvolle an diesem Haus ist nicht, dass es mal ein Bahnhofsgebäude war, sondern die große Fläche", sagt Meta Bacsák und öffnet die Tür zur mittleren Wohnebene. Wie in den übrigen Räumen des renovierten Gebäudes vermischen sich dort Wohnbereiche und Ateliers. Ob in Küche oder Schlafzimmer: überall stehen farbenfrohe, zum Teil noch nicht fertig gestellte Plastiken aus Ton oder Holz, in Regalen stehen unzählige Gläser mit Farbpigmenten und Tuben mit Ölfarbe. An den Wänden hängen kontrastreiche Bilder aus Acryl und Öl, zwischen zweitem und drittem Stockwerk stehen die sieben "Meta-Morphosen" - Bäume aus Kunststoff, Holz und Sägespähnen. Die Kunstwerke und Materialien verlocken den Besucher zum Streifzug durch das helle Gebäude, dessen Entstehungsjahr nur schwer nachzuvollziehen ist. "über diese Daten verfügen wir nicht mehr", sagt Bahn-Sprecher Gerd Felser. Schon vor Jahren habe die Bahn AG ihr Archiv aufgelöst, Daten und Historie der alten Stationen wurden an Landesarchive und Museumsvereine verteilt. Dass die Fassade des Messeler Gebäudes seit drei Jahren unter Denkmalschutz steht, weiß dagegen die Denkmalschutzbehörde des Kreises.
Fahrkartenautomaten haben in Messel längst das Bahnhofspersonal abgelöst. Lediglich das Stellwerk wird von einem Bahnangestellten besetzt.

Dennoch ist mindestens einmal im Jahr großer Bahnhof im ehemaligen Stationsgebäudes: Beim Tag des offenen Ateliers können sich Besucher einen Eindruck vom Leben und der Arbeit im Künstlerbahnhof machen, auch sind Führungen nach Absprache möglich. "Viele Menschen haben uns schon besucht und jeder hat etwas von seiner Seele dagelassen", sagt Meta Bacsák.

Monatelang dauerten die Renovierungsarbeiten
Wie ihr Ehemann fühlt sie sich im Bahnhofsgebäude wohl, das sie gemeinsam renoviert haben. "Als wir das Haus gemietet haben, war es in einem schlimmen Zustand", erinnert sie sich. Monatelang haben die Künstler es entrümpelt, Wände eingezogen, Böden verlegt und sanitäre Einrichtugnen erneuert. Die Kosten habe die Bahn AG mit der Miete verrechnet, sagt der Maler. Künftig möchte die Bahn AG jedoch nicht mehr in das Gebäude investieren. Wie in Weiterstadt und Bickenbach soll der Bau verkauft werden.

Dass die Gemeinde Messel ein Interesse am Kauf haben könnte, bezweifelt Bürgermeister Udo Henke (CDU): "Das liegt zum einen an der Finanzlage, zum anderen wollen wir, dass der Künstlerbahnhof noch lange besteht.

Das wünschen sich auch Meta und Kárly Bacsák, die sich in Messel als "gern gesehene Exoten" sehr wohl fühlen. Das Jahre nach Stillegung des Schalterbetriebs ab und zu Fahrgäste an der Haustür klingelten, um Zugtickets zu kaufen und nach dem Weg zu fragen, störe sie nicht, sagt Károly Bacsák: "Wir sind eben der Bahnhof".